1480: Die türkische Invasion Italiens

Im Sommer 1480 eroberte ein Heer des türkischen Sultans die Stadt Otranto im südöstlichen Zipfel Italiens. Panik machte sich an den Renaissancehöfen der Halbinsel breit. Doch was als Brückenkopf für die Eroberung Roms gedacht war, scheiterte nach nur einem Jahr kläglich. Ein Zufall rettete Italien vor der osmanischen Invasion.

Setzte Mehmed der Eroberer 1480 zum Sprung nach Italien an? (Modernes Momument zu Ehren Mehmeds II. in Istanbul)

Setzte Mehmed der Eroberer 1480 zum Sprung nach Italien an? (Modernes Momument zu Ehren Mehmeds II. in Istanbul)

(Bildnachweis: © 2001 Mirko Gründer)

Im Sommer 1478 betraute der türkische Sultan Mehmed II., Eroberer von Konstantinopel, seinen ehemaligen Großwesir Gedik Ahmed Pascha mit der Statthalterschaft in der albanischen Hafenstadt Valona (heute Vlorë). Dieser höchst interessante Mann kam direkt aus dem Gefängnis in sein neues Amt, das ihm Kontrolle über eine Flotte und die gesamte Westküste des Adriaausganges gab. Und während sich der in seiner Gunst so wechselhafte Sultan neuen Eroberungen im Süden zuwandte, genoss der Pascha seine wiedergewonnene Macht in vollen Zügen. Schon im nächsten Jahr räumte er unter den verbliebenen griechischen Inselstaaten mächtig auf und unterwarf sie dem Sultan.

Doch seinen größten Coup, der ihn endgültig zurück in die Gunst des Sultans bringen sollte, nahm er 1480 in Angriff. Er wollte seinem Herrscher die volle Kontrolle über die Adria verschaffen. Das war vergleichsweise einfach: Direkt gegenüber von Valona bewachte am südöstlichsten Zipfel Italiens die Stadt Otranto den Ausgang des Binnenmeeres. Zwischen beiden Städten kommen sich Italien und der Balkan am nächsten. Nur etwa fünfundsiebzig Kilometer trennen sie noch voneinander. An klaren Tagen kann man die gegenüberliegende Küste sehen.

Otranto wird türkische Basis in Italien

Die Besetzung auch der anderen Seite der Meerenge konnte von hohem strategischen Wert sein, konnte doch ihr Besitzer die Adria und damit die mächtigen Handelsstädte Venedig und Ragusa (heute Dubrovnik) vom Rest des Mittelmeeres abschneiden. Während also der rastlose Sultan Mehmed II. selbst zum großen Schlag gegen Rhodos ausholte, rüstete Gedik Ahmed Pascha für die Invasion Italiens.

Am 28. Juli 1480 landete ein osmanisches Invasionsheer von mehreren tausend Mann an der apulischen Küste, acht Kilometer von Otranto entfernt. Zahlen sind wie immer schwer zu bestimmen, die Rede geht in den Quellen von 150 Schiffen und rund 18.000 Mann – aber auch 100.000 findet sich, zweifellos übertreibend. Auch Artillerie und Pferde waren über die Meerenge gebracht worden und wurden ausgeschifft.

Am 11. August erstürmten die Türken die Stadt, die eine kampflose Übergabe verweigert hatte, und ließen gemäß bei solchen Anlässen üblicher osmanischer Taktik keine Gnade walten. Von den 22.000 Einwohnern sollen nur 10.000 überlebt haben. Den greisen Erzbischof ereilte sein Schicksal am Hochaltar seiner Kirche, als er gerade um göttlichen Beistand betete. Der Pascha „schonte weder Alte noch Junge, weder Priester noch Bürger. In den Straßen der Stadt hörte man nichts anderes als die Schreie der Ermordeten, das Weinen und Wimmern der Kinder, das Röcheln der Alten, die so lange gelebt hatten, nur um solchen Schrecken und solches Unglück zu erleben“, so heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.

Apulien zittert vor den Türken

Die eroberte Stadt als Basis benutzend stießen die Türken unverzüglich weiter ins Land vor und drangen bis ins Umland von Tarent und Brindisi vor. Gedik Ahmed schien sich auf Dauer in Apulien festsetzen zu wollen. Die lokalen Quellen überliefern die Geschehnisse hochdramatisch. In dem im Spätmittelalter und auch danach eher friedlichen und rückständigen Apulien blieb der Türkeneinfall von 1480 eine lebhafte und traumatische Erinnerung.

Noch heute kann man in Otranto die steinernen Kanonenkugeln bewundern, mit denen der Pascha die Stadt beschießen ließ. Besonders stark wirkt jedoch eine Geschichte fort, nach der 800 Einwohner von Otranto zwei Tage nach der Einnahme der Stadt auf einem nahen Hügel hingemetzelt wurden, weil sie sich weigerten, den Islam anzunehmen. Papst Clemens XIV. sprach diese Leute im späten 18. Jahrhundert selig, im Mai 2013 folgte die Heiligsprechung durch Papst Franziskus – die Verehrung der „800 Märtyrer“ ist bis heute lebendig.

Renaissance-Italien im Angesicht des Feindes

Der neapolitanische König Ferrante, zu dessen Reich Otranto gehörte, war von der Landung türkischer Truppen auf dem falschen Fuße erwischt worden. Und das gleich aus mehreren Gründen.

Neapel unterhielt schon seit den sechziger Jahren ausnehmend gute Beziehungen zu den Türken und drohte immer dann, wenn seine Machtstellung in Italien in Schwierigkeiten geriet, den anderen italienischen Mächten gern mit einem Bündnis mit dem Sultan. So kam der Angriff 1480 zweifellos etwas überraschend für den König von Neapel, wähnte er sich doch in Frieden mit den Osmanen. Aber was die türkische Invasion noch viel unangenehmer machte, war die Abwesenheit des neapolitanischen Heeres, das seit geraumer Zeit mit der Belagerung von Florenz beschäftigt war.

Die Festung Otranto bewachte die Meerenge zwischen Italien und Albanien. Ihr Besitz garantierte die Kontrolle über die Adria - und konnte zugleich ein Brückenkopf für die Invasion Italiens sein.

Die Festung Otranto bewachte die Meerenge zwischen Italien und Albanien. Ihr Besitz garantierte die Kontrolle über die Adria – und konnte zugleich ein Brückenkopf für die Invasion Italiens sein.

(Bildnachweis: Attilios, Public Domain, via Wikimedia Commons)

Eilig wurden die Truppen zurückgerufen, doch ausrichten konnten sie wenig. Die türkischen Invasoren wichen in die Festung Otranto zurück und richteten sich auf den Winter ein. Dem König ließ der Pascha ausrichten, dass der Sultan gegen Abtretung Otrantos, Tarents und Brindisis – also des gesamten Stiefelabsatzes Italiens – zum Frieden bereit sei. Andernfalls werde der Sultan im Folgejahr selbst in Italien erscheinen.

Niemand hielt dies damals für eine lächerliche Drohung. Dass es Mehmed II. nach dem Besitz Italiens und insbesondere Süditaliens gelüstete, galt als ausgemacht. Der Eroberer Konstantinopels betrachtete sich als Erbe des byzantinischen Reiches, und Süditalien hatte viele Jahrhunderte zu dessen Hoheitsgebiet gehört. Darüber hinaus galt die Einnahme Roms als spirituelles Zentrum des Christentums als sein erklärtes Ziel.

Endkampf um Italien?

All dies war schon genug, die italienischen Mächte in Panik zu versetzen. Hinzu kamen bei Einbruch des Winters Gerüchte, die schon jetzt den Sultan höchstpersönlich mit 200.000 Mann in Albanien wussten, bereit zum Einfall in Apulien. Der Papst in Rom saß schon auf gepackten Koffern.

Ferrante von Neapel appellierte an die italienischen Staaten um Beistand. Anderenfalls werde er, so ließ er durchblicken, sich mit dem Sultan verbünden. Der Papst machte sich den Appell schnell zu eigen. Anfang November wurden Gesandte aller Mächte nach Rom zu einer Krisentagung gerufen. Sixtus IV. gab ein gutes Beispiel und söhnte sich mit Florenz aus. Ein großes Verteidigungsbündnis kam zu Stande, dem neben Neapel und dem Papst auch Genua, Mailand, Ancona und Florenz angehörten. Man machte sich zum Endkampf um Italien bereit.

Ein Zufall rettet Italien?

Der Endkampf wurde niemals nötig. Mehmed der Eroberer brach im April 1481 mit seinem Heer nach Anatolien auf. Das Ziel dieses Heerzuges ist bis heute Objekt großer Spekulation. Italien zumindest scheint es nicht gewesen zu sein. Wahrscheinlicher ist ein erneuter Schlag gegen Rhodos oder sogar ein Heerzug gegen das Reich der Mamluken. Am 1. Mai musste das Heer halten, als der Sultan durch eine Kolik niedergeworfen wurde. Am 3. Mai starb Mehmed II.

Sein Tod und die gleich darauf ausbrechenden Thronkämpfe unter seinen Söhnen brachten den italienischen Brückenkopf schnell in eine schwierige Lage. Gedik Ahmed Pascha, der weitere Vorstöße in Apulien vorbereitet hatte, musste seine Energie der Schlichtung des Thronstreites widmen. Währenddessen stand die türkische Besatzung von Otranto auf verlorenem Posten. Am 10. September 1481 kapitulierte sie und zog sich zurück nach Albanien. Die Truppen, die Ferrante und der Papst zur Verteidigung Italiens gesammelt hatten, lösten sich auf.

Ränkespiele im Renaissance-Italien

Das war die osmanische Invasion Italiens, die niemals richtig begonnen hat. Vieles im Umfeld der Ereignisse gab schon den Zeitgenossen Anlass für Spekulationen und Verschwörungstheorien. Man kann sich etwa fragen, ob Sultan Mehmed II. überhaupt jemals die Absicht hatte, Otranto als Ausgangspunkt eines Eroberungszuges in Italien zu nehmen. Seine letzten Aktionen vor seinem Tode lassen darauf nicht schließen.

Möglich ist aber auch, dass der Sultan, der über die Vorgänge in Italien durch ein ausgedehntes Spionagenetz stets gut informiert war, angesichts der großen Koalition der italienischen Staaten von einem Feldzug Abstand nahm. Daran schließt sich jedoch die Frage an, was ihn im Vorjahr bewogen haben könnte, eine solche Invasion für möglich zu halten. Es ist die Frage, die sich auch die Italiener damals schnell gestellt hatten: Hatte einer von ihnen den Großherrn nach Italien gerufen? Das könnte Vieles erklären.

Zwei Hauptverdächtige waren schnell ausgemacht. Die erste war die Seerepublik Venedig, die sich gerade mal ein Jahr vor dieser Invasion nach einem langen und verlustreichen Krieg auf einen Friedensvertrag mit den Türken eingelassen hatte. Und während der Krise auch keinerlei Anstalten machte, den anderen beizustehen. Weder hatte ihre Flotte das Übersetzen der osmanischen Truppen verhindert, noch leistete sie einen Beitrag zum Verteidigungsbündnis.

Dies alles mag für das Gerücht gesorgt haben, der Rat von Venedig hätte Mehmed zum Einfall in Italien angestachelt und ihn in diesem Fall ihrer wohlwollenden Neutralität versichert. Tatsächlich konnte Venedig von der Schwächung ihrer Konkurrenten in Italien nur profitieren. Vor allem Neapel machte ihr seit Jahren die territoriale Vorherrschaft streitig und wäre ein sehr gefährlicher Gegner geworden, wäre ihm die Eroberung von Florenz gelungen. Belegen ließen sich diese Theorien jedoch nie.

Entlastung für Florenz

Der zweite Verdächtige war niemand anders als Lorenzo de Medici, Lorenzo der Prächtige, Stadtherr von Florenz. Auch er konnte vom türkischen Einfall in Süditalien nur profitieren. 1478 war er bei einem Attentat, vom Papst und Neapel inszeniert, nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Verbittert über den Fehlschlag griffen seine Gegner zu gröberen Mitteln. 1479 standen neapolitanische Truppen vor Florenz. Es war Lorenzos verzweifeltste Stunde, denn er hatte ihnen wenig mehr entgegenzusetzen als seine diplomatische Klugheit.

Diese reichte am Ende aus. Im Dezember 1479 begab er sich mit wenigen Begleitern direkt nach Neapel, in die Höhle des Löwen. Bis April blieb er dort, und es gelang ihm, Ferrante von einer Beendigung der Belagerung zu überzeugen. Als Lorenzo im April triumphal nach Florenz zurückkehrte, sammelte Gedik Ahmed Pascha gerade seine Truppen in Albanien.

Es liegt nahe zu spekulieren, dass Lorenzo sich in seiner Not Ende 1479 an den Sultan wandte und ihn zum Einfall ins Königreich Neapel aufzuputschen suchte. Ein solcher Angriff musste Ferrante zum Abbruch der Belagerung von Florenz zwingen – wie es ja auch tatsächlich geschah. Dieses Szenario liegt umso näher, da Florenz seit langem die freundschaftlichsten Beziehungen zu Mehmed II. unterhielt.

Beide Mächte – Venedig und Florenz – hatten gewichtige Gründe, mit dem Glaubensfeind zu kollaborieren. Nimmt man diese Theorien zu Hilfe, erklärt sich das osmanische Engagement ganz gut. Ende 1479 konnte der Sultan zumindest mit der Neutralität, wenn nicht gar der Unterstützung zweier wichtiger italienischer Mächte bei einem Vorgehen gegen Neapel rechnen. Mit der veränderten Machtlage nach Lorenzos Aussöhnung mit Ferrante war die Situation ungünstiger geworden, und der Sultan sah von einer großangelegten Invasion 1481 ab.

Lesetipps zum Thema

Webtipps:

Literaturtipps:

  • Franz Babinger: Mehmed der Eroberer und seine Zeit, München 1953.

  • Hedda Reindl: Männer um Bayezid. Eine prosopographische Studie über die Epoche Sultan Bayezids II. (1481–1512), Berlin 1983.

  • Hans Miksch: Der Kampf der Kaiser und Kalifen, Erlangen 2002.

  • Ingeborg Walter: Der Prächtige. Lorenzo de‘ Medici und seine Zeit, München 2003.