1933: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus

Am 27. Mai 1933 wurde der Philosoph Martin Heidegger in sein Amt als Rektor der Freiburger Universität eingeführt. Er war der Kandidat der NSDAP und vertrat engagiert ihre Sache. Wie geriet der geniale Denker auf die Seite der Nazis?

Im Mai 1933 ergriff der Philosoph Martin Heidegger die Macht an der Freiburger Universität. Er war fasziniert von der "Nationalen Revolution", die Hitler ausgerufen hatte, und wollte an ihr teilnehmen.

Im Mai 1933 ergriff der Philosoph Martin Heidegger die Macht an der Freiburger Universität. Er war fasziniert von der „Nationalen Revolution“, die Hitler ausgerufen hatte, und wollte an ihr teilnehmen.

(Bildnachweis: Mesenholl/Universität Freiburg)

Der Dichter Paul Celan verließ 1967 die Hütte in Todtnauberg „mit einer Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen…“. Er hatte den Philosophen Martin Heidegger besucht, der seit 1945 wie ein Einsiedler in der Berghütte lebte.

Paul Celan bewunderte Heidegger, er klammerte sich an dessen Philosophie. Celan war Jude, hatte seine Eltern in den Vernichtungslagern verloren und selbst den Krieg nur knapp in einem rumänischen Lager überlebt.

Martin Heidegger war deutscher Universitätsprofessor und galt als einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. Heidegger hatte sich 1933 der nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen, war von ihr protegiert worden und hatte sie nach Kräften unterstützt. Nach 1945 hatte sich der Philosoph nie öffentlich widerrufend oder auch nur bedauernd über das geäußert, was er getan hatte. Die Hoffnung aus das kommende Wort hat sich nie erfüllt – für Celan nicht, der sich 1970 das Leben nahm, und auch für den Rest der Welt nicht, die dem Schweigen des großen Philosophen lauschte.

Dieses beredte Schweigen war nach 1945 bei vielen Mitläufern und Mittätern des Regimes zu hören. Das spezielle Problem im Fall Heidegger ist: ganz egal in welchem Ausmaß er Nationalsozialist war, Antisemit und volkstümlerischer Reaktionär, Heidegger war (und ist) ein Denker von Weltgeltung. Er war weder Opportunist noch kann man annehmen, dass er anfällig für Verblendungen oder den Nationalsozialismus als Volksreligion gewesen sei. Heidegger befand sich nicht im Griff der nationalsozialistischen Ideologie, er war mit Parolen nicht zu beeindrucken.

Heidegger war, und gerade das ist das Unbegreifliche, Nationalsozialist aus philosophischem Idealismus. Die Frage, mit der sich Philosophen und Historiker hier konfrontiert und von der sie sich erschreckt sehen, ist: Wie kann es sein, dass einer der sogenannten „großen“ Denker sich in seinem politischen Engagement auf derart un-humanistische Irrwege begab? Tatsächlich wurde Heidegger vom politischen Vorgang der nationalsozialistischen Revolution philosophisch mitgerissen. Er stellte seiner politischen Zeit eine philosophische Diagnose. Der Grund für sein Engagement für die Nazis ist nicht in seinem Charakter oder seiner „Charakterlosigkeit“ – wie seine langjährige Freundin Hannah Arendt es gern sehen wollte – zu suchen, sondern in seinem Denken.

Philosophischer Salto mortale in die Primitivität

Die „Nationale Revolution“, die die NSDAP 1933 ausrief, traf Heidegger auf dem Lehrstuhl seines Mentors Edmund Husserl in Freiburg, auf dem er diesem im Oktober 1928 gefolgt war. Er war der Shooting Star der deutschen Philosophie – gerade 44 Jahre alt und seit seinem 1927 erschienen Hauptwerk „Sein und Zeit“ auf einer Welle des Ruhms.

Heidegger sah in Hitler den Anbruch eines neuen Zeitalters. Die Zerschlagung des Weimarer Systems fand bei ihm Zustimmung, die Entschlossenheit der Partei beeindruckte ihn, der er eine Philosophie des Handelns vertrat. In dieser Atmosphäre kam ihm der Gedanke, die Philosophie – seine Philosophie – selbst könnte nun handlungsfähig sein. Sich ihrer Zeit bemächtigen. Und menschliche Größe könnte nach der Zeit des Relativismus der Demokratie wieder möglich sein. Denn Größe war es vor allem, nach der sich Heidegger sehnte, nach der er strebte. „Man muss sich einschalten“, sagte er im Gespräch mit seinem Kollegen Karl Jaspers im März 1933.

Die brutale Gewalt, mit der sich die Bewegung Bahn brach, sah er als eine Gewalt der Erlösung. Das Standgericht über die Politik, über Liberalismus und Korruption lief bereits, und Heidegger forderte ein ähnliches für die Wissenschaft. Deutschland hätte zu viele Philosophieprofessoren, meinte er im Gespräch mit Jaspers, eigentlich sollte man nur zwei oder drei behalten. Als Jaspers ihn fragte, „welche denn?“, schwieg er vielsagend.

Der große Denker machte einen „philosophischen Salto mortale in die Primitivität“, wie Rüdiger Safranski es in seiner Heidegger-Biografie ausdrückt. Er stellte das philosophische Denken zurück und gab die Differenzierungen auf: „Es genügt nicht allein, die Neuordnung zu begrüßen, es gilt das Entweder-Oder, sich entscheiden, sich unter die Befehlskraft der neuen Wirklichkeit zu stellen“.

Nach dem Krieg erklärte er vor dem Bereinigungsausschuss, er habe an Hitler geglaubt. Er überließ sich dem Wirbel der politischen Wirklichkeit.

Die Begeisterung, mit der er das tat, beschrieb Karl Jaspers in seinen Erinnerungen an Heideggers letzten Besuch bei ihm im Juni 1933: „Heidegger selbst schien sich verändert zu haben. Schon bei der Ankunft entstand eine uns trennende Stimmung. Der Nationalsozialismus war zu einem Rausch in der Bevölkerung geworden. Ich suchte Heidegger zur Begrüßung oben in seinem Zimmer auf. ‚Es ist wie 1914…‘, begann ich, und wollte fortfahren: ‚wieder dieser trügerische Massenrausch‘, aber angesichts des den ersten Worten strahlend zustimmenden Heideggers blieb mir das Wort im Halse stecken… Angesichts des selber vom Rausche ergriffenen Heideggers habe ich versagt. Ich sagte ihm nicht, dass er auf falschem Wege sei. Ich traute seinem verwandelten Wesen gar nicht mehr. Ich fühlte für mich selbst die Bedrohung angesichts der Gewalt, an der Heidegger nun teilnahm.“

Rector designatus der Partei

Heideggers Sich-einschalten begann im März 1933. Als sein politisches Betätigungsfeld sah er vor allem die Universität. Obwohl er 1945 vor dem Bereinigungsausschuss behauptete, von Kollegen in das Rektorat gedrängt worden zu sein, scheint inzwischen erwiesen, dass er mit der Freiburger Gruppe nationalsozialistischer Professoren systematisch auf dieses Amt hingearbeitet hatte. Spätestens seit Anfang April 1933, so geht aus einem Briefwechsel zwischen dem Kultusministerium und der Parteiorganisation hervor, war Heidegger Rector designatus der Partei. Die Machtergreifung des Philosophen erfolgte rücksichtslos: Der erst Ende 1932 gewählte sozialdemokratische Rektor Wilhelm von Moellendorff war kaum 5 Tage im Amt, als er unter dem Druck der Partei und der Studentenschaft samt des ganzen Senats zurücktrat. Er selbst schlug Heidegger zu seinem Nachfolger vor. Die Plenarversammlung wählte ihn fast einstimmig – von 93 Professoren waren 13 als Juden ausgeschlossen, 24 blieben der Wahl fern, zwei Enthaltungen gab es und eine Gegenstimme.

Heidegger entwickelte erstaunlichen Tatendrang. Das Führerprinzip trat für ihn sofort in Kraft. Der konservative Senat, den ihm die Plenarversammlung zugesellt hatte, wurde erst gar nicht einberufen. Und am 1. Mai 1933, mit großer Geste, folgte der Eintritt in die NSDAP.

Der neue Rektor hielt in dieser Zeit Reden en masse, viele von ihnen vor Studenten. Eine herausragende Stellung hat die Rektoratsrede „Die Selbstbehauptung der deutschen Universität“ vom 27. Mai 1933. Er fragte darin nach dem „Wesen“ der Universität, sprach von den Gefahren, die der Universität drohten, und der Revolution, dem Aufbruch aus der Höhle. Seine vielzitierte Einteilung von Arbeitsdienst-Wehrdienst-Wissensdienst setzte ihn selbst in die Position des Priesters, der der Bewegung die Richtung gab.

Er äußerte später, diese Rede wäre „in den Wind gesprochen und nach dem Tag der Rektoratsfeier vergessen“. Die Fakten scheinen gegen diese Einschätzung zu sprechen. Als Druck erlebte sie in der Nazizeit zwei Auflagen, die Parteipresse pries sie an. Es waren die Ansätze der Zeit, die er aufgriff: Führeruniversität und Gleichschaltung. Und Benedetto Croce schrieb in Reaktion auf sie: „er entehrt die Philosophie“.

Die Schuldfrage

Heidegger hat 1946 für seine Verhandlungen vor dem Bereinigungsausschuss der Freiburger Universität Karl Jaspers als Entlastungszeugen genannt. In der kühlen Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit, gemieden von den Kollegen und vom Berufsverbot bedroht, griff er nach dem alten Freund, den er seit zwölf Jahren gemieden hatte, als letztem Rettungsanker. Jaspers, der hochgefeiert auf seinen Heidelberger Lehrstuhl zurückgekehrt war und sich gerade in einer Vorlesung mit der „Schuldfrage“ auseinandersetzte.

Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wurde Heidegger die Lehrbefugnis entgzogen. Der Philosoph lebte Jahre zurückgezogen in seiner Berghütte in Todtnauberg im Schwarzwald.

Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wurde Heidegger die Lehrbefugnis entgzogen. Der Philosoph lebte Jahre zurückgezogen in seiner Berghütte in Todtnauberg im Schwarzwald.

(Bildnachweis: Hans G. Müsse/Public Domain, via Wikimedia Commons)

Heidegger hat diese Vorlesung zur „Schuldfrage“ noch nicht gekannt, sonst hätte er sich wohl gehütet, um Jaspers‘ Meinung zu bitten. Jaspers schrieb für den Ausschuss ein Gutachten, das seinen alten Freund vorübergehend zu Boden warf. Heideggers Denkungsart sei ihrem Wesen nach „unfrei, diktatorisch, communikationslos“. Jaspers schätzte sie als „heute in ihrer Lehrwirkung verhängnisvoll“ ein. Für die Erziehung der Jugend sei sie vor allem ungeeignet: „Solange in ihm nicht eine echte Wiedergeburt erfolgt, die sichtbar im Werk ist, kann m. E. ein solcher Lehrer nicht vor die heute innerlich fast widerstandslose Jugend gestellt werden.“ Er empfahl die Suspension vom Lehramt, zugleich aber Bereitstellung einer ausreichenden Pension, um dem genialen Philosophen weitere Arbeit zu ermöglichen. Der Senat der Universität folgte dieser Empfehlung. Heidegger wurde 1946 die Lehrbefugnis entzogen.

Unbrauchbar für die Politik

Heideggers Amtszeit als Rektor hatte ein jähes Ende schon am 23. April 1934 gefunden, nach knapp einem Jahr. Der Bereinigungsausschuss hörte als Begründung, dass er mit seinem Rücktritt gegen die Entlassung des sozialdemokratischen Dekans Moellendorff protestieren wollte. Wahrscheinlicher ist, dass er aus tiefer Enttäuschung zurücktrat und vielleicht auch etwas aus Müdigkeit. Enttäuschung nicht über die Ideologie und die Gewalttaten des Systems, sondern vielmehr über die Erkenntnis, dass ihm die Teilnahme an oder vielmehr die Lenkung der Revolution versagt blieb.

Jaspers deutete es als Heideggers „objektive Unbrauchbarkeit in der Politik“. Heidegger wurde schnell in seinem Handlungsspielraum eingeschränkt durch NS-Kader, die ihn nutzten – wie einen Hampelmann, wie Jaspers sagt –, ihn aber zugleich hinderten, seine Vorstellungen umzusetzen. Heideggers Prämissen stimmten nicht: „Ich glaubte, Hitler werde, nachdem er 1933 in der Verantwortung für das ganze Volk stand, über die Partei und ihre Doktrin hinauswachsen und alles würde sich auf den Boden einer Erneuerung und Sammlung zu einer abendländischen Verantwortung zusammenfinden“, erklärte er dem Bereinigungsausschuss. Heidegger war für die Bewegung unbrauchbar, und als er erkannte, dass er nichts tun konnte, gab er auf.

Über das Schweigen des Philosophen nach 1945 ist viel Tinte vergossen worden. Es ist wenig hinzuzufügen. Höchstens abschließend mit Karl Jaspers: „In diesem Falle Heidegger ‚in Ruhe zu lassen‘, halte ich nicht für wünschenswert.“

Lesetipps zum Thema

Webtipps:

Literaturtipps:

  • Victor Farias: Heidegger und der Nationalssozialismus, Berlin 2003.

  • Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, München/Wien 1994.

  • Jacques Derrida: Vom Geist. Heidegger und die Frage, Frankfurt am Main 1998.

  • Karl Jaspers: Notizen zu Martin Heidegger, Hrsg. von Hans Saner, München 1978.