Der gefallene Agent: James Bond in „Skyfall“

Am Anfang von „Skyfall“ sitzt James Bond verraten in einer Bar irgendwo in der Südsee und besäuft sich. Am Ende des Films ist Bond klarer geworden, er ist vom Himmel gefallen und auf das reduziert, was er ist. Ein kerniger Agent mit einem kernigen Vorgesetzten. Zwei gute Männer im Kampf gegen das Böse, ganz wie früher.

Zwischen 1953 und 1965 schrieb der britische Autor Ian Fleming 12 Bond-Romane und einige Kurzgeschichten, die - oftmals nur sehr lose - als Vorlage für die Filme dienen.

Zwischen 1953 und 1965 schrieb der britische Autor Ian Fleming 12 Bond-Romane und einige Kurzgeschichten, die – oftmals nur sehr lose – als Vorlage für die Filme dienen.

In der Presse ist zu lesen, James Bond sei mit „Skyfall“ wieder bei seinen Ursprüngen angekommen. Hilfreich ist das nicht. Denn genau dasselbe war bei einigen anderen Bond-Filmen auch schon zu lesen. Und auch die Bond-Produzenten gaben und geben es gerne zu Protokoll – so wie Barbara Broccoli und Michael G. Wilson schon bei „Casino Royal“ (2006).

James Bond kehrte also schon so einige Male zu seinen Ursprüngen zurück. Aus der Rückschau wurde „Liebesgrüße aus Moskau“ (1964) und „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ (1969) dieser Status zugesprochen. Bei „In tödlicher Mission“ (1981), einem ebenfalls „ursprünglichen“ Bond-Film, diskutierte das Filmteam sehr lange, ob Roger Moore in einer Schlüsselszene einem angeschossenen Bösewicht im Auto den finalen Tritt geben dürfe, damit dieser von einer Klippe stürzt. Roger Moore war skeptisch und wollte eigentlich nicht treten, wie er in seiner 2008 erschienenen Biografie erzählt.

Als Timothy Dalton die Rolle 1985 übernahm, kündigte er ebenfalls an, den wahren Bond zum Vorschein zu spielen. Und wurde in „Der Hauch des Todes“ (1985) erstmal monogam und verzettelte sich in „Lizenz zum Töten“ (1989) in eine persönliche Vendetta. Der Film fiel beim Publikum und bei der Kritik durch, aber Regisseur John Glen ist bis heute stolz auf ihn.

Das berühmteste Kind des Kalten Krieges

Der wahre Kern, die sogenannte Bond-Formel ist letztendlich, dass James Bond ein Kind des Kalten Krieges ist. Ein ziemlich berühmtes und treffendes sogar. Deutlich unbekümmerter als George Kaplan aus Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ (1959) und auch deutlich extrovertierter als George Smiley in der John le Carré-Verfilmung „Dame König, As Spion“ (1979, 2011).

James Bond ist der Lebenstraum des Autors Ian Fleming. Der Schriftsteller, Eton-Absolvent und kurzzeitige MI6-Mitarbeiter hat ihn niedergeschrieben, selber aber wohl nie gelebt. Die Romane sind mehr oder weniger ironisch gemeint. Die Bond-Produzenten scheuten und scheuen sich nicht, die dadurch entstehende Dehnbarkeit voll auszunutzen. Bis hin zur Neuschreibung ganzer Geschichten: Der Film „Der Spion der mich liebte“ hat mit dem gleichnamigen Roman überhaupt nichts zu tun, und „Goldeneye“ heißt Ian Flemings Ferienhaus auf Jamaica.

Über diese Hintergründe wird freilich eher geschwiegen. Wer sie kennt und aufschreibt, wie der deutsche Bond-Experte Siegfried Tesche, wird vom Bond-Team zu Premieren nicht mehr eingeladen. Von feiner Ironie gegenüber dem Agentenhandwerk bis zum größtem Slapstick ist im Kino alles möglich mit der Figur James Bond – je nachdem was Publikum und Zeitgeist gerade verlangen. Aber ein echter Spion wäre sofort enttarnt und erledigt, wenn jeder Barmann auf der Welt seinen Drink und dessen Zubereitung kennen würde. Sean Connery bemerkte einmal, dass es doch merkwürdig sei, dass in den 60ern mit den vielen Bond-Plagiaten eigentlich „Parodien der Parodie“ entstanden seien. Gemeint sind Filmreihen wie die Jerry Cotton-Serie oder die O.S.S. 117-Reihe. Letztere wurde jüngst mit dem „The Artist“-Star Jean Dujardin neu verfilmt, und übertrifft mit ihrer feinen Ironie die Austin Powers-Reihe und auch Rowan Atkinsons „Johnny English“.

Ein Großteil der modernen westlichen Kultur, auch des 21. Jahrhunderts, ist ein Erbe des Kalten Krieges, angefangen mit dem Internet. Daran mag heute nur niemand mehr denken, denn so wird die große Ambivalenz zwischen Rationalität und Gefühl während dieses Zeitalters so deutlich. Der Kalte Krieg wurde von Menschen gemacht und nicht von Computern. Seinerzeit wie heute ist es eher zwecklos, Raketen zu zählen und daraus eine Bedrohung zu ermessen. Bekanntlich entziehen sich psychische Phänomene der Logik, sie erfordern vielmehr Erfahrung und Gespür.

Dr. Seltsam und der erste Bond

Eigentlich war das Filmgenre Kalter Krieg mit Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“ (1964) zu Ende erzählt. Kubrick sah keine andere Möglichkeit, als den Zeitgeist Anfang der 60er Jahre in eine Groteske, in eine mit Ironie gespickte absurde Komödie zu überführen und traf ihn damit auf den Punkt. Kubrick hatte „Dr. No“ (1962), den ersten Bond, natürlich gesehen. Er heuerte dessen Set-Designer Ken Adam für „Dr. Seltsam“ an – und vielleicht ist sogar der Name seines verrückten Wissenschaftlers, „Dr. Strangelove“, mit dem MI6-Stationschef Jack Strangways aus „Dr. No“ verwandt. Das legt jedenfalls der Filmhistoriker Grant B. Stillman nahe.

Nach „Dr. Seltsam“ hätte James Bond nicht mehr ernsthaft erzählt werden können. Aber die Reihe war zwei Jahre zuvor begonnen worden, wenn auch aus Flemings Sicht spät. Kein Produzent traute sich, dieses heiße Thema mitten im Kalten Krieg anzufassen. Die Kubakrise im Herbst 1962 war gerade erst überstanden. Aber Broccoli und Saltzman trauten sich, und wurden für ihr Draufgängertum ökonomisch reich belohnt.

Eben auch, weil die Filme sich immer fein am Kalten Krieg entlang hangelten. Die ersten richtigen Bösewichter, Dr. No, Rosa Klebb und Goldfinger, sahen sehr deutsch aus. Die beiden letzteren wurden sogar von deutschen Schauspielern verkörpert, Lotte Lenya und Gert Fröbe. Die Terrororganisation SPECTRE sowie spätere Bösewichter waren vornehm unpolitisch und lediglich scharf auf schnelles Geld und anschließend die Weltherrschaft. Sie spielten gelegentlich die Weltmächte gegeneinander aus und wollten als lachende Dritte aus dem Dritten Weltkrieg hervorgehen. Vielleicht waren und sind die Bond-Filme auch deswegen so beliebt, weil sie die Apokalypse, vor der die Welt während des Kalten Krieges mehrfach haarscharf stand, verschwiegen.

Mit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre wurden die Bond-Filme alberner, begonnen mit „Diamantenfieber“ (1971) bis zu „Moonraker“ (1979). Bonds Gadgets werden unrealistisch: Autos, die wahlweise fliegen oder schwimmen können, der Bösewicht Jaws beißt mit seinem Stahlgebiss die Seile der Zuckerhutseilbahn durch. Erst mit dem russischen Einmarsch in Afghanistan und der Iranischen Revolution im Jahr 1979 änderte sich der Tonfall wieder, prompt wurde Bond in „In tödlicher Mission“ (1981) wieder sehr ernsthaft. Und flog 1987 in „Der Hauch des Todes“ sogar selbst in das Kriegsland Afghanistan, um mit den Mudschaheddin gegen die Sowjets zu kämpfen. Doch auch hier blieb alles im Impliziten: Bond kämpfte nur gegen einen einzelnen psychopathischen sowjetischen General.

Vom Ende des Kalten Krieges kalt erwischt

Nach dem Ende des Kalten Krieges dauerte es fünf Jahre, bis der nächste Bond erschien. In „GoldenEye“ (1995) bekam der Agent – jetzt Pierce Brosnan – eine knallharte weibliche Vorgesetzte, die ihn erstmal als „sexistischen Dinosaurier“ und „Relikt des Kalten Krieges“ bezeichnete. Am besten auf den Punkt brachte die Situation allerdings Ex-KGB-Mann Zukovsky, der erstmal nachfragt, ob Bond denn wirklich noch für den MI6 arbeite. Und auch wenn die neue M keine Skrupel hatte, Bond ins offene Messer laufen zu lassen, starb der Agent auf seiner Mission nicht. Er wurde nur gewalttätiger. Roger Moore zeigte sich entsetzt: „Zuviel Blut, zuviel hirnlose Explosionen. Das war nicht Bond“, so der Vor-Vorgänger von Brosnan.

Das Ende des Kalten Krieges hat die Bond-Macher vermutlich kalt erwischt. Sicher hat es auch ökonomische Gründe, dass „GoldenEye“ erst 1995 erschien. Aber es wurden auch diverse Drehbücher geschrieben und wieder verworfen. Der James Bond der 90er war nun ein verwirrter Bond ohne Gefühle und mit großen Knarren. Und brachte damit den politischen Zeitgeist einigermaßen auf den Punkt. Die USA hatten nach dem Ende des Kalten Krieges allerhand Mühe, sich in ihrer Rolle als einzige Weltmacht zu etablieren. Denn lediglich die Ökonomie und das politische System des Kalten Krieges war zerfallen, die Mentalität jener 45 Jahre wirkte fort – bis heute. Als der US-Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 1993 den „Kampf der Kulturen“ ausrief, war es nach dem 11. September 2001 nur ein weiterer Schritt zu George W. Bushs „Krieg gegen den Terror“ und der Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Guantanamo.

Je spannungsvoller die Weltpolitik, umso besser ist Bond

Der Agent ihrer Majestät bekam erst 2006 in „Casino Royale“ wieder menschliche Züge, er verliebte sich ernsthaft und musste Verlust erfahren. So sehr, dass er in „Quantum Trost“ (2008) die Dunkelmänner hinter der Ermordung seiner Geliebten aufspürte und tötete. Doch auch das war nicht genug. In „Skyfall“ muss Bond nun noch seine Kindheit durchleben, um dort anzukommen, wo er 1962 startete. Es ist nur konsequent, dass in „Skyfall“ die M aus „GoldenEye“ stirbt und Bond wieder einen kernigen Mann als Vorgesetzten bekommt.

Es ist schön, dass James Bond weiter erzählt wird und sich neu zu einer Ikone unserer Zeit entwickelt. Je unübersichtlicher die weltpolitische Lage war und ist, desto besser wurden die Bond-Filme. Das zeigen die letzten 50 Jahre sehr deutlich. Oder, wie Bond-Produzent Michael G. Wilson in diesem Zusammenhang der „Cinema“ sagte: „Es scheint, als bräuchte man 007 mehr denn je.“

Lesetipps zum Thema

Webtipps:

Literaturtipps:

  • Siegfried Tesche: Das große James Bond Lexikon, 2012.

  • Bernd Stöver: Der Kalte Krieg, München 2006.

  • Grant B. Stillman: Two of the MADdest Scientists: Where Strangelove Meets Dr. No – Or, unexpected roots for Kubrick’s cold war classic, In: Film History – An International Journal, Bd. 20 (2008).