1833-1885: Charles George Gordon, genannt Gordon Pascha
von Mirko Gründer
Er bekämpfte Rebellen in China und Sklavenjäger im Sudan. Kaum jemand spiegelt die Blütezeit des britischen Empires besser in seiner Person wider als „Gordon Pascha“ – seine weltumspannende Größe ebenso wie seine Widersprüche.

Der Tod Gordons in Khartoum wurde schnell romantisiert: Auf diesem Gemälde von 1893 tritt er den Aufständischen mutig entgegen.
Für die Briten ist er ein Mythos, ein Held aus besseren Tagen: Charles George Gordon, den man auch „Chinese Gordon“ oder „Gordon Pascha“ nannte, stand für viele Zeitgenossen in einer Reihe mit Wellington und Nelson.
In einer Zeit, als das britische Empire nach dem Ende Napoleons eine weltweit praktisch unangefochtene Vormachtstellung ausübte, konnten Männer wie Gordon große Karriere machen. Der vierte Sohn eines englischen Artillerieoffiziers war vielseitig begabt, interessierte sich für Religion, Kunst und Architektur. Dennoch blieb ihm als standesgemäße Beschäftigung kaum etwas anderes übrig, als selbst die Offizierslaufbahn einzuschlagen. Er trat 1852 den „Royal Engineers“ bei und erwies sich als begabter Konstrukteur von Befestigungsanlagen.
Doch auch als Ingenieur war der Krieg nicht fern – das 19. Jahrhundert war voll von Konflikten, in denen britische Interessen gewahrt werden mussten. 1855 zog er in den Krimkrieg, in dem Frankreich und England dem russischen Zaren die Grenzen seiner Ambitionen aufzeigen wollten. Gordon bestand seine Feuertaufe bei der Belagerung von Sewastopol und wurde nach seiner Rückkehr nach England zum Hauptmann befördert.
Der Anfang einer Legende: Kommandeur in China
Nach zwei ruhigen Jahren als Ausbilder in England begann für Gordon das Abenteuer. Er meldete sich freiwillig für den Dienst in China. Dort tobte seit 1856 der Zweite Opiumkrieg – ein ungleicher Kampf, in dem Briten und Franzosen dem chinesischen Reich ihre Handelsinteressen aufzwangen. Gordon kam gerade rechtzeitig in China an, um die Besetzung der Hauptstadt Peking im Oktober 1860 mitzuerleben.
Fast anderthalb Jahre hielten die Briten Nordchina besetzt, ehe sie sich nach Shanghai zurückzogen. Den Chinesen sollte deutlich werden, wer von nun an im Land das Sagen hatte. Mit diesem Selbstverständnis gingen die Briten auch gegen die Taiping-Rebellion vor, die seit einigen Jahren im Süden des Landes immer mehr an Kraft gewann. Während die regulären britischen Truppen Shanghai sicherten, erhielt Gordon das Kommando einer europäisch-asiatischen Miliz, der „Stets siegreichen Armee“, mit der er maßgeblich zur Niederschlagung des Aufstandes beitrug.
Der chinesische Kaiser war voll des Lobes über Gordon und ehrte ihn mit Titeln und Geschenken. Das Empire beförderte ihn zum Oberstleutnant und verlieh ihm den Bathorden. Und die Presse daheim erfand auch den ersten Spitznamen für den neuen Helden: „Chinese Gordon“.
Der Taiping-Feldzug hatte Gordons hohes taktisches Geschick und sein Talent als Anführer offenbart. Er zeigte jedoch auch Charakterzüge, die ihm in Zukunft noch zu schaffen machen würden: Sein Stolz und sein Konzept von Ehre vereinbarten sich nicht gut mit dem Leben eines Soldaten im Krieg. Eine Episode zeigt dies deutlich: Er überwarf sich mit seinem Vorgesetzten, dem chinesischen Gouverneur Li, als dieser Männer hinrichten ließ, denen Gordon freies Geleit zugesichert hatte. Gordon zog seine Truppen zurück und weigerte sich monatelang, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Er bekam, was er wollte: Li lenkte ein, und der Feldzug ging weiter.
Der Samariter von Gravesend
Die Taiping-Rebellion gilt als einer der blutigsten Konflikte der Menschheitsgeschichte. Geschätzte 20 Millionen Todesopfer machen deutlich, mit welchem Ausmaß an Leid Gordon während des Feldzuges konfrontiert gewesen sein muss. Er war stets sehr religiös gewesen – China schärfte seinen Blick für das Elend, das er auch zu Hause vorfand. „Dein Herz würde bluten, wenn du die armen Leute hier sähest“, schrieb er kurze Zeit später bei einem Besuch in Manchester an seine Schwester. „Ihr Anblick berührt mich so schmerzlich, und ich glaube, er führt mich dazu, fortan weniger an mich selbst zu denken und mehr an diese armen Leute.“
Die nächsten sechs Jahre verbrachte Gordon in England als Kommandant einer Festung an der Themsemündung. Er lebte spartanisch, unterrichtete in der örtlichen Schule und stiftete für die Armen.
Erst eine Inspektionsreise zur Krim riss ihn aus seinem zurückgezogenen Leben. In Istanbul wurde der Premierminister von Ägypten auf ihn aufmerksam. 1873 bot ihm der Herrscher des Landes am Nil eine Stellung an: Gordon sollte den Sklavenhandel im Sudan bekämpfen und dort Ordnung schaffen. Nun gewann wohl die Abenteuerlust die Oberhand über den Samariter. Mit Genehmigung seiner englischen Vorgesetzten trat Gordon in die Dienste des Khedive von Ägypten.
Gordon Pascha im Kampf gegen die Sklavenjäger
Ägypten war zu jener Zeit formell noch Teil des Osmanischen Reiches, doch regierten die Khediven, die Vizekönige in Kairo, seit mehr als einem halben Jahrhundert faktisch unabhängig. Der Sultan hatte keine Macht am Nil. Umso mehr Macht hatten die Engländer. Wirtschaft und Administration folgten britischen Interessen. Seit 1869 der Suezkanal eröffnet worden war, wurde Ägypten zur strategisch bedeutsamen Interessenzone. Die Regierung in London sah es deshalb gern, wenn wichtige Schlüsselpositionen im Land mit Engländern besetzt wurden.
Gordons Aktivitäten im Südsudan in den folgenden drei Jahren stärkten Ägyptens Präsenz und fügten dem Sklavenhandel schweren Schaden zu. Doch ständig kam es zu Konflikten mit dem ägyptischen Gouverneur in Khartoum, so dass Gordon schließlich seinen Posten hinwarf. Und erneut, wie schon in China, bekam er, was er wollte: Der Khedive in Kairo setzte den Gouverneur ab und betraute Gordon selbst mit dem Amt.

Khartoum war im 19. Jahrhundert wichtigste und größte Stadt des Sudan (Zeichnung, um 1880).
Gordon beruhigte den Sudan bis 1880 substanziell und errang sich durch sein faires Vorgehen den Respekt der Bevölkerung. Er war nicht in Khartoum, um sich zu bereichern – das war ungewöhnlich genug für einen Gouverneur. Steuern wurden gesenkt, die Prügelstrafe abgeschafft. „Meine Vorgänger haben niemand vorgelassen“, schreibt er. „Ich gebe jedermann freien Zutritt und habe einen großen Briefkasten für Petitionen mit einem Schlitz im Deckel. Der ist täglich bis oben voll.“
Seine größte Herausforderung waren die bewaffneten Truppen der Sklavenjäger, die Macht und Einfluss im Land besaßen. Der Druck aus England, wo seit langem stark gegen Sklaverei mobil gemacht wurde, war groß. Gordon errang wichtige Etappensiege bei der Eindämmung des Sklavenhandels – stoppen konnte er ihn jedoch nicht.
Der tragische Held von Khartoum
Nach einem Machtwechsel in Kairo im Jahr 1879 nahm Gordon seinen Abschied vom Sudan. In den folgenden Jahren wechselte er fast rastlos die Posten, als wäre er auf der Suche nach einer neuen lohnenden Aufgabe. Kurze Stationen in Indien, China, Mauritius und der englischen Kapkolonie folgten schnell aufeinander. Er wurde zum Generalmajor befördert und nahm schließlich eine längere Auszeit, um Palästina zu besuchen. Er blieb ein Jahr dort, und es ist wohl mehr als eine heitere Anekdote, dass er meinte, das wahre Grab Jesu entdeckt zu haben. Seine These vom „Gartengrab“ hat bis heute Anhänger.
Eine neue Aufgabe zeichnete sich ab, als der belgische König ihm die Verwaltung des Kongo antrug. Es kam jedoch nicht dazu – denn im Sudan war die Lage außer Kontrolle geraten, und man rief nach Gordon. Ein religiöser Führer hatte sich zum Mahdi ausgerufen und die Kontrolle im Land übernommen. Die Ägypter konnten der Revolte nicht Herr werden – und die Briten wollten nicht. Um das Gesicht zu wahren, sandte die Regierung in London Gordon nach Khartoum, um die Ausländer in Sicherheit zu bringen, ehe die Truppen des Mahdi eintrafen.
Gordon kam am 18. Februar 1884 in Khartoum an und wurde von den Einwohnern als Retter empfangen. Er evakuierte die Ausländer nicht, sondern bereitet sich darauf vor, die Stadt und ihre 40.000 Einwohner zu verteidigen. Er wollte sich nicht wie eine Ratte aus dem Sudan herausschleichen. Ab Ende März war Khartoum von den Truppen des Mahdi eingeschlossen.
Es war ein verlorener Posten, und Gordons einzige Hoffnung war englische Hilfe. Wenn die Regierung keine Truppen schicken wollte, musste Gordon sie zwingen. Für die Öffentlichkeit daheim war er ein Held, den man nicht einfach seinem Schicksal überlassen durfte. Im August bewilligte die Regierung unter dem Druck der Straße eine Rettungsexpedition, die jedoch nur langsam in Bewegung kam. Zu langsam für Khartoum und für Gordon. Als sie am 28. Januar 1885 eintrafen, erfuhren sie, dass die Stadt nur zwei Tage zuvor erstürmt worden war. Gordon war gefallen.
Die tragische Note seines Endes machte ihn in Windeseile zum Mythos. Ein leeres Grabmal – seine Leiche wurde nie geborgen – wurde für ihn in der Londoner St. Pauls Cathedral errichtet, in unmittelbarer Nachbarschaft der Napoleon-Bezwinger Nelson und Wellington. In einem populären Song auf Londons Straßen hieß es: „Englands Ruhm war sein Leben, Englands Stolz war sein Tod.“
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