Peter Frankopan:

Licht aus dem Osten – Eine neue Geschichte der Welt

Rezension von Mirko Gründer

Europa ist nicht das Herz der Welt. Das ist Zentralasien und der Nahe Osten. Peter Frankopans „neue Geschichte der Welt“ will den Fokus der Geschichtsschreibung verschieben. Das gelingt ihm unterhaltsam und recht überzeugend, wenn auch mit Einschränkungen.

Auch Alexander der Große zog aus, um den Osten zu erobern. Denn dort schlug laut Peter Frankopan das "Herz der Welt".

Auch Alexander der Große zog aus, um den Osten zu erobern. Denn dort schlug laut Peter Frankopan das „Herz der Welt“.

(Bildnachweis: Relief auf dem „Alexandersarkophag“, ca. 325 v. Chr., heute Archäologisches Museum Istanbul, Foto: Mirko Gründer 2013)

Wieder einmal ein Buch mit einem verunglückten deutschen Titel. „Licht aus dem Osten“ suggeriert, es ginge hier darum, wie Kultur und Weisheit Asiens den Westen beeinflussten. Bücher dieser Art gibt es Hunderte. Dies ist keines davon.

Der Originaltitel „The Silk Roads“ trifft den Kern des Buches besser. Es ist eine Beschreibung jenes riesigen Transitraumes, den der Autor das „Herz der Welt“ nennt. Diese Region erstreckt sich seiner – nicht so ganz trennscharfen – Definition von Ägypten und der Ukraine im Westen bis ins östliche China und Indien. Durch sie flossen Jahrtausende lang die Seidenstraßen als Pulsadern der Zivilisation – so Frankopan, der mit kühner Feder die Geschichte dieses Raumes auf knapp 700 Seiten erzählt.

Ein Autor mit einer Mission

Dabei fasst er ganz zum Anfang jene langen Jahrtausende auf einer halben Seite zusammen, in denen eben jene Region tatsächlich der Hort der Zivilisation war. Das alte Ägypten, die Hochkulturen Mesopotamiens und des Industals sind nicht Thema dieses Buches. Für den Leser ist dies der erste Hinweis, dass es dem Autor um etwas anderes geht als um eine Weltgeschichte mit dem Fokus auf eine bestimmte Region. Für ihn wird der Raum erst interessant, als er über sich selbst hinauszugreifen beginnt und die Konfrontation mit dem, was wir heute den Westen nennen, seinen Anfang nimmt.

Das Buch verfolgt eben eine geschichtspolitische Agenda – das muss man schon feststellen dürfen, selbst wenn man Sympathien für ihre Stoßrichtung hat. Es möchte die eurozentristische Sicht auf die Geschichte, die wir so gerne pflegen, radikal korrigieren. Auch das ist nicht an sich ungewöhnlich, wurde aber selten mit dem hohem Anspruch einer einbändigen Weltgeschichte durchgeführt.

Frankopans Argument ist: Es war stets das „Herz der Welt“, das die Ereignisse der letzten zweieinhalb Jahrtausende bestimmte. Weil sich die großen Reiche durch diese Region austauschten, um ihre Kontrolle rangen, ihren Gegnern die Kontrolle neideten.

Europa war lange Zeit Peripherie, uninteressant und rückständig. Und selbst, als Europa die Welt beherrschte, tat es dies durch die Kontrolle über das „Herz der Welt“. Und in seiner übersteigerten Arroganz verspielte der Westen auch eben in dieser Region seine Weltherrschaft.

Diese Herangehensweise wir durchbuchstabiert: Von Alexander über die Römer und Mongolen bis hin zum britischen Empire und Hitler zog es alle Eroberer und potenziellen Weltherrscher in Frankopans „Herz der Welt“.

Peter Frankopan:
Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt

Rowohlt-Verlag, Berlin 2016
942 Seiten
42,00 €

Peter Frankopan: Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt

(Bildnachweis: Rowohlt Verlag, mit freundlicher Genehmigung)

Die erste Hälfte des Buches macht es dem Autor leicht: Von der Antike bis weit in die Neuzeit blüht die Region im unvergleichlichen Reichtum, den der Handel zwischen Mittelmeer und Ostasien ihr beschert. Das „Herz der Welt“ ist in dieser Zeit ein großer funkelnder Juwel sagenhafter materieller Hochkultur und politischer Macht. Byzanz, die Reiche des Iran, das Kalifat der Araber und die mongolischen Herrschaften hatten hier ihre Zentren, als es im Westen nichts annähernd Vergleichbares gab.

Machtverschiebung in den Westen

Die zweite Hälfte des Buches tut sich schwerer mit der Perspektivverschiebung, denn jetzt ist Europa am Zug. Die Seidenstraßen werden von den europäischen Seemächten Portugal, Spanien, England und den Niederlanden einfach umfahren, und die Quellen ihrer Macht und ihres Reichtums trocknen aus. Es bricht eine Zeit an, in der Frankopans „Herz der Welt“ seine Bedeutung nur noch daraus gewinnt, das sich andere darum streiten und jeder sich Einfluss und Gewinn sichern will.

Was etwa in Frankopans Darstellung Hitler nach Osten zieht, ist das Korn der Ukraine und das Öl von Baku – nicht der zauberhafte Schimmer eines Lichts im Osten. Nicht wesentlich anders ist es für Russen und Franzosen, Briten und Amerikaner des 20. Jahrhunderts, die nach der Kontrolle über Öl und andere Bodenschätze gieren. Das „Herz der Welt“ scheint abgestorben und zur Plünderung freigegeben.

Doch der Autor macht hier nicht Schluss, und jetzt hat das Buch seine stärkste Phase. Fast 250 Seiten widmet er der Entwicklung der Region im 20. Jahrhundert, und er schreibt diese Geschichte als die eines Aufstiegs. Dieser Aufstieg hat mit zwei Faktoren zu tun: der Dekolonialisierung und dem Öl.

Frankopan beschreibt überzeugend, wie die europäischen Kolonialmächte durch Gier und permanentes Ringen um Einfluss bei den lokalen Eliten jegliches Prestige und Vertrauen immer mehr verspielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg entzogen sich die Staaten der Region mehr und mehr dem Zugriff der Kolonialmächte und eroberten mit der Kontrolle über ihre eigenen Bodenschätze auch die Macht über ihr eigenes Schicksal – mal mehr, mal weniger erfolgreich und nachhaltig. Dieser Prozess hält noch an. Frankopans Ausblick am Ende seines Buches prophezeit den weiteren Aufstieg des „Herzen der Welt“ – als Frucht des Wohlstandes, den der Verkauf der Bodenschätze den Staaten der Region bringt – und den weiteren Niedergang des Westens, nachdem auch die USA ihr letztes Kapital am Golf und in Afghanistan verspielt haben.

Alles ist verbunden…

Wie überzeugend dieser große Bogen ist, darüber mag man streiten. Die große These vom „Herzen der Welt“ über zweieinhalb Jahrtausende durchzuhalten ist gewagt. Vieles wird schlicht ignoriert, wenn es schlecht zum Bild passt – so verschwindet Zentralasien über weite Strecken immer wieder völlig aus der Darstellung. Auch Perspektiven aus der Kultur- und Ideengeschichte bleiben praktisch völlig außen vor. Und generell: Wenig ist wirklich neu, bestenfalls neu zusammengefügt. Am Ende ist die recht banale Haupterkenntnis: Alle historischen Räume und Entwicklungen sind verbunden, und sie müssen in ihren Wechselwirkungen betrachtet werden.

Mit diesen Einschränkungen: Frankopan gelingt ein unterhaltsames, Laien zugängliches Buch, ohne dabei völlig über die globalhistorischen Stränge zu schlagen. Seine Perspektive ist anregend und vermag es, dem Leser unbewusste Zusammenhänge aus dem Schatten der Geschichte zu erhellen – und das ist doch mit das Beste, das solche ein Buch leisten vermag.

Inhalt:

  • Vorwort
  • ERSTES KAPITEL
    Wo alles seinen Anfang nimmt – die Mitte der Welt
  • ZWEITES KAPITEL
    Wege zur Erleuchtung – der Wettlauf der Religionen
  • DRITTES KAPITEL
    Rom liegt jetzt im Osten – das neue christliche Reich
  • VIERTES KAPITEL
    Zeiten des Aufruhrs – die revolutionäre Offenbarung
  • FÜNFTES KAPITEL
    Von Mekka bis Cordoba – der Siegeszug des Islam
  • SECHSTES KAPITEL
    Schätze der Steppe – der neue Welthandel
  • SIEBTES KAPITEL
    Was West und Ost verbindet – der lange Weg der Sklaven
  • ACHTES KAPITEL
    Kein Paradies auf Erden – das Zeitalter der Kreuzzüge
  • NEUNTES KAPITEL
    Herrschaft der Nomaden – das mongolische Großreich
  • ZEHNTES KAPITEL
    Der Schwarze Tod – von Entdeckungen und Katastrophen
  • ELFTES KAPITEL
    Wo das Gold lockt – die Eroberung der Neuen Welt
  • ZWÖLFTES KAPITEL
    Zu Gast bei Osmanen, Persern und Moguln – der neue Reichtum des Ostens
  • DREIZEHNTES KAPITEL
    Herrscher der Meere – die Handelsmächte des Nordens
  • VIERZEHNTES KAPITEL
    Von East India bis New England – das britische Weltreich
  • FÜNFZEHNTES KAPITEL
    Ein Bär zieht in den Süden – der Streit um Persien
  • SECHZEHNTES KAPITEL
    Auf stählernen Gleisen gen Osten – der Weg in den Krieg
  • SIEBZEHNTES KAPITEL
    Schwarzes Gold – das «Große Spiel» im Osten
  • ACHTZEHNTES KAPITEL
    Quellen der Macht – die neuen Wege des Öls
  • NEUNZEHNTES KAPITEL
    Deutscher Machthunger – die Kornkammern des Ostens
  • ZWANZIGSTES KAPITEL
    Schwarze Erde, rotes Blut – der Völkermord
  • EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Scheidepunkt Iran – wo der Kalte Krieg beginnt
  • ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Ein Riss durch den Osten – die Rivalität der Supermächte
  • DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Spielverlängerung – der Kampf um die Vormachtstellung
  • VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Verlorene Wetten – der Iran und seine Nachbarn
  • FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Die neuen Kreuzritter – der falsche Krieg gegen den Terror
  • SCHLUSS
    Licht aus dem Osten – der Wiederaufstieg der Seidenstraßen

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