1952: Keine Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland

Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde die Todesstrafe im Westteil Deutschlands abgeschafft. Doch im Jahr 1949 waren noch 74 Prozent der Bevölkerung für die Todesstrafe. Im Bundestag begann ein jahrelanges Ringen um ihre Wiedereinführung, das erst am 30. Oktober 1952 mit einer Niederlage der Befürworter endete.

Bundestag 1952: Leerer Plenarsaal nach der Sitzung

Bundestag 1952: Leerer Plenarsaal nach der Sitzung

(Bildnachweis: Bundesarchiv, B 145 Bild-F091457-0001/Munker, Georg/CC-BY-SA, via Wikimedia Commons)

Die Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland war stets ein Traum der linken Bewegungen gewesen. Die SPD hatte in der Weimarer Republik mehrere Versuche dazu unternommen und war stets an den Stimmen der Konservativen gescheitert. Im Parlamentarischen Rat der Jahre 1948/49 waren die Vorzeichen zunächst umgekehrt: Denn plötzlich stand die unausgesprochene Frage im Raum, wie mit deutschen Kriegsverbrechern verfahren werden sollte.

So schlug ausgerechnet der rechtsgerichtete Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm vor, ein Verbot der Todesstrafe in der neuen Verfassung zu verankern. Seine „Deutsche Partei“ begriff sich als Interessenvertretung der ehemaligen Nationalsozialisten. Die SPD-Abgeordneten jedoch zögerten, wollten sie doch keineswegs der Bestrafung von Kriegsverbrechern Grenzen setzen. Letzlich setzte sich aber bei den SPD-Abgeordneten die Haltung durch, die Ablehnung der Todesstrafe sei ein wichtiges Element der Abkehr von der NS-Barbarei. Am 6. Mai 1949 wurde trotz Einwände der CDU-Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit ein knapper und klarer Satz als Artikel 102 ins Grundgesetz aufgenommen: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“.

Konservative Wiederbelebungsversuche

Die allierten Besatzungsmächte zeigten sich nur wenig beeindruckt. Noch Mitte 1951 wurden verurteilte Kriegsverbrecher von den Amerikanern hingerichtet. Kein Wunder also, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe schon kurz nach ihrer Abschaffung wieder auf der Agenda von Konservativen und Rechten stand. Schon am 27. März 1950, nicht einmal ein Jahr nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, stand im Bundestag ein entsprechender Antrag der Bayernpartei zur Diskussion. Das Interesse, die frische Verfassung gleich wieder zu ändern, war gering, und die Ablehnung des Antrag daher erstaunlich einhellig. Das Thema war damit jedoch nicht erledigt.

Am 2. Oktober 1952 lag es erneut auf dem Tisch. Wie so oft war die Debatte durch einen konkreten Fall angeheizt worden: Ein gewisser Erich von Halacz hatte Paketbomben verschickt und damit mehrere Menschen getötet. Der Fall erregte Aufsehen und die gemeinsam mit CDU/CSU und FDP regierende Deutsche Partei hielt den Augenblick für gekommen, das Thema „Todesstrafe“ erneut anzugehen. Die öffentlich Erregung machte der DP-Abgeordnete Hans Ewers in seiner Begründung des Antrags deutlich: Sie rühre daher, dass „dieser Mensch nicht, wie es sich gehört hätte, für diese Schandtat zum Tode verurteilt worden ist“.

Einstellung zur Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland 1950-2000

Einstellung zur Todesstrafe in der Bundesrepublik 1950-2000 (Grafik basierend auf Zahlen des Instituts für Demoskopie Allensbach)

(Bildnachweis: © Historeo 2012)

Zweifellos hatte der rechte Flügel die Volksmeinung in dieser Frage hinter sich. Im Jahr 1952 ermittelte das Allensbach-Institut, dass 55 Prozent der Bundesbürger grundsätzlich für die Todesstrafe seien, nur 28 grundsätzlich dagegen. Es sollte noch bis in die 70er Jahre dauern, bis die Stimmung in dieser Frage nachhaltig kippte. Für die Befürworter der Strafe spielte sowohl der „christlich betonte Grundsatz der Vergeltung“ als auch der – schon damals sehr umstrittene – Abschreckungscharakter der Todesstrafe eine Rolle, wie Ewers in seiner Rede im Bundestag hervorhob. Zugleich machte er sich Sorgen darum, dass „der alte deutsche Fehler wiederholt“ werde, „daß man immer von einem Extrem ins andere fällt“.

Die Konservativen des ersten Bundestags waren zutiefst gespalten in dieser Frage. Schützenhilfe erhielt die Deutsche Partei von Abgeordneten der Bayernpartei und der Zentrumspartei, die allerdings einen eigenen Antrag mit etwas anderer Stoßrichtung einbrachten. Sie beriefen sich auf sich „massenhaft häufende Morde und besondere Bestialität“, und der Abgeordnete Franz Xaver Meitinger von der Bayernpartei stellte emphatisch fest: „Der Staat braucht die Todesstrafe als Abschreckungsmittel.“ Doch schon Ewers hatte in seiner Rede feststellen müssen, dass selbst in seiner eigenen Fraktion keine einheitliche Meinung zu der Frage herrschte. Die CDU-Fraktion war von einer einheitlichen Meinung noch weiter entfernt. In ihr gab es vehemente Befürworter und leidenschaftliche Gegner ebenso wie eine große Zahl noch Unentschiedener, die sich eine bessere Entscheidungsbasis wünschten.

Der Staat als Erzieher

Weit klarer waren die linken Parteien SPD und KPD in ihrer einhelligen Ablehnung der Wiedereinführung der Todesstrafe. Der SPD-Abgeordnete Friedrich Wilhelm Wagner sah mit Schaudern wieder Erschießungkommandos ihr Werk verrichten. Allen Abgeordneten standen die mehr als 16.000 Todesurteile der Nazijustiz noch lebhaft vor Augen. Wagner bestätigte, dass die Mehrheit der Bevölkerung wohl leider für die Todesstrafe sei. Aber: „Der Staat hat mit gutem Beispiel und erzieherisch voranzugehen, wenn ihm das Volk in seiner Masse folgen soll, nicht umgekehrt.“

Den Ausschlag in der Debatte gab jedoch die ausführliche Rede des amtierenden Justizministers Thomas Dehler von der FDP. Er fragte: „Hat der Staat das Recht, das Leben eines Menschen zu vernichten, hat der Staat das Recht, einem Menschen zuzumuten, andere Menschen berufsmäßig zu töten?“ In seiner Antwort sprach er sich scharf gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe aus, indem er nüchtern und präzise die Argumente der Befürworter zerlegte. Unter Berufung auf statistische Daten machte er deutlich, dass von einer Abschreckungswirkung der Todesstrafe keine Rede sein könne und dass auch die Gesellschaft durch die Todesstrafe keineswegs sicherer wird. Schwerstes Gewicht legte der Rechtsanwalt, der in der Nazizeit viele jüdische Mandanten vertreten hatte, auf die nicht auszuschließende Gefahr des Justizirrtums. Die Todesstrafe sei ja nun mal die „Strafe, die nicht rückgängig gemacht werden kann“. Diesen Überlegungen gegenüber stehe die Volksmeinung, die zur Todesstrafe tendiere. Dehler mahnte jedoch: „Die Parlamentarier haben die Pflicht und die Möglichkeit, aus einer größeren Einsicht, aus einem besseren Wissen zu handeln, als es der einzelne kann.“

Unter dem Eindruck von Dehlers Rede, die breite Zustimmung durch die Fraktionen fand, gestaltete sich die Abstimmung über die Anträge der Deutschen Partei und der Bayernpartei am 30. Oktober 1952 letztlich sehr klar. Der Antrag, den Abschaffungsartikel aus dem Grundgesetz zu streichen, fiel mit 216 zu 103 Stimmen bei 10 Enthaltungen durch. Der Alternativantrag der Bayernpartei, der die Todesstrafe per Verfassung auf Mord und Menschenraub beschränken wollte, scheiterte mit 175 zu 134 Stimmen bei 14 Enthaltungen. Es war das letzte Mal, dass das Thema im Bundestag zur Abstimmung gelangte.

Lesetipps zum Thema

Webtipps:

Literaturtipps:

  • Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990, Berlin/New York 2010.

  • Karl Bruno Leder: Todesstrafe – Ursprung, Geschichte, Opfer, München/Wien 1980.